Deppen unterwegs
Eine Reise nach Korsika ist etwas Besonderes. Das allemal, wenn es eine besondere Vorgeschichte gibt.
Zum Beispiel wenn man durch eine kleine Beigabe zu einem Päckchen mit Sachen die man bei Ebay versteigert hat zu einer kleinen Korrespondenz kommt.
Wenn man dann einen alten Handspiegel für 15€ weg gibt. Ein sehr unpraktischer Handspiegel. Geschliffenes Kristallglas. Schwer wie eine Bratpfanne aus Gusseisen. Kopflastig.
Etwas gewöhnungsbedürftig im Design.
Wenn dann nach einigen Tagen die Nachfrage bekommt, dass der Spiegel 1892 in Shanghai hergestellt wurde und mindestens 150€ wert sei - ob man (Käufer) den nun zurückschicken müsse.
Dann schreibt man natürlich zurück: "Behalte ihn - aber halte ihn in Ehren."
Wenn man sich dann verabredet, sich mal so eben kurz zu treffen weil Korsika in Hamburg weilt und man bei dem Treffen feststellt, dass sich Bekanntenkreise überschneiden, dann wird es schon spezifisch.
Aus ein paar flapsigen Bemerkungen hier und da entsteht dann der Plan zur Reise nach Korsika. Hand gegen Koje sozusagen.
Natürlich will man gerne sein Auto dabei haben. Gepäck muss nicht so sortiert werden. Man könnte sogar eine Standuhr aus Hamburg mitnehmen. Unabhängig ist man auch. Und sonderbarer Weise ist der Autoreisezug billiger als eine Zugreise ohne Auto. Rechnet man den Mietwagen noch ab - dann wird die Differenz schon bedenkenswert.
Wenig glücklich ist allerdings der Fahrplan der Autoreisezüge. Allessandria und Verona werden am selben Wochentag angelaufen - und man fährt am selben Wochentag auch wieder weg. Das ist dumm wenn einem zwei Wochen zu lang sind und weniger als eine Woche netto zu kurz. Dann gäbe es noch die Möglichkeit, über eine der beiden Städte anzureisen und über Avignon wieder zurück. Das kann prima passen.
Leider ist keine der Fährlinien nach/von Korsika zu überreden, nur eine Passage zu buchen. Zumindest online. Und richtig gut würde das Konzept Autoreisezug nur passen, wenn man für beide Touren unterschiedliche Fährlinien nähme.
Da sich inzwischen auch die Zusammensetzung der Gruppe etwas verändert hat - zwei potentielle Teilnehmer (oder gar drei?) haben ihre Korsikareise auf den September verschoben - ist mit vielen Imponderabilien zu planen - und als dann endlich alles festgelegt werden kann, ist der Zug ab Avignon nur noch per Chance und Warteliste für uns zugänglich.
Also doch ohne Auto. Auch das wird eng. Am Freitag nur noch ein Sitzplatz frei - aber keine zwei.
Sonnabend passt sowieso besser. Da gibt es auch zwei Plätze.
Also Sonnabend ab Kiel, umsteigen in Hamburg, dann in Karlsruhe den TGV nach Paris Gare d'Est, dann per Metro nach Paris Austerlitz (denken Sie daran, dafür gesondert vor Ort Karten zu kaufen!), dann Liegewagen nach Nizza, dort zwei Stunden Zeit um zur Fähre zu kommen und am Sonntag um 19:50 Uhr ist man in Bastia und damit auf Korsika.
Sonnabend noch ein opulentes Frühstück und dann ab trimo!
Sehr zeitig in Hamburg angekommen hat man ausreichend Zeit, sich zu orientieren. Wohin sollte die erste Etappe gehen? Ach ja: Karlsruhe. Dort umsteigen Richtung Paris. Mal sehen. Ach ja: da steht ja - Karlsruhe Gleis sowienoch, Abfahrt 12:38 Uhr. Kauft man noch eine Zeitung, ein Getränk? Sitzen auf dem Bahnsteig. Train spotting.
Hinter uns hält ein ICE nach Zürich. Abfahrt 12:34 Uhr. Zürich ist ja auch nett. Man könnte ja mal Ute und Greogor besuchen. Naja, liegt dieses Mal halt nicht auf dem Weg.
Der ICE fährt ab, unser Zug kommt. Einsteigen, Plätze suchen und finden. Geschafft! Große weite Welt, wir kommen!
Irgendwann kommt der freundliche Zugbegleiter, schaut auf unsere Fahrkarten - und irritiert auf uns. Was wollen wir in diesem Zug? Wir hätten doch den nach Zürich nehmen sollen. Der hält auch in Karlsruhe - allerdings gut zwei Stunden vor diesem. So wird das nichts mit unserem Anschluss nach Paris. Und mit dem Anschluss von dort nach Nizza. Und in Nizza mit der Fähre.
Was tun? Der freundliche Zugbegleiter wälzt Listen, schaut in seinen mobilen Computer. Da sieht nicht sehr gut aus. Mal sehen, ob er in seinem Abteil mehr herausfindet. Er findet trotz intensiver Suche nichts und gibt uns den Rat, in Frankfurt auszusteigen. Dort weiter sehen. Ja: die Fahrkarten gut verwahren und möglichst nirgends stempeln lassen. Wegen eventueller Erstattung.
In Frankfurt im Reisezentrum eine Nummer ziehen. 40 oder 50 Leute vor uns. Die Zeit haben wir nicht. Am Informationsstand findet man heraus, dass über Zürich und Mailand eine Chance besteht.
Also ab in den nächsten Zug nach Zürich, der fährt in 9 Minuten. Rein in den Zug und der freundlichen Zugbegleiterin unsere Geschichte erzählt. Sie meint, bis zur Grenze könne sie uns mitnehmen, dann müssen wir weitersehen. Schließlich hätten wir ja bei dem Preis für die Fahrkarten wesentliche Teile des Konzerns übernommen. Auch ohne Börsengang.
In Basel wird der Zug dann Schweizer Staatsgebiet. Ein neuer Zugbegleiter, wieder wird unsere Geschichte erzählt. Der nette Mann schaut in seinen mobilen Computer und meint, wir könnten eventuell über Chiasso - er würde schon mal per Telefon das Reisezentrum am Bahnhof in Zürich beauftragen, was mit unseren Tickets zu machen.
Leider erreicht er dort trotz mehrfachen Versuchens niemanden. Immerhin die Fahrt bis Zürich will er uns schenken. Und er verrät uns auch das Gleis des Zuges nach Chiasso. Dort allerdings gäbe es einen längeren Aufenthalt. Viel los sei dort auch nicht. Eher überhaupt nichts.
Viel Zeit zum Umsteigen bleibt nicht. Aber wir schaffen es.
Im Zug kommt der freundliche Zugbegleiter, wieder erzählen wir unsere Geschichte. Er ist bemüht, doch nun kostet die Fahrt Geld. Zürich bis Chiasso. Er verrät uns auch, wo es einen Geldautomaten in Chiasso gibt, der zwei Währungen auszahlt. Genau das brauchen wir nämlich inzwischen. Geld in bar. Wir haben zwar inzwischen eine Kreditkarte, kennen aber die PIN nicht. Noch nicht.
Er wälzt alle seine Informationen und sagt, dass wir recht wenig Zeit zum Umsteigen in Mailand hätten. Wir sollten besser in Monza umsteigen statt von Garibaldi bis zum Hauptbahnhof mit einem anderen Zug. Sieben Minuten sind recht eng. Wir sollten den Zugbegleiter des Zuges ansprechen und ihn bitten, den Lokführer des Anschlusszugs nach Nizza anzufunken damit der wartet. Wenn es keinen Zugbegleiter gäbe, dann sollten wir den Lokführer unseres Zuges bitten. Sehr bemüht und sehr nett der Mann.
Irgendwo steigt eine Gruppe jugendlicher Snowboarder ein. Die müssen schreckliche Hörschäden bei ihrem Sport bekommen haben, denn sie schreien sich ständig an. Dann schreit die ganze Gruppe noch in ein Handy. Mauro soll sie wohl irgendwo abholen. Ma-Uro. Das hören wir gut 100x in einer Lautstärke, dass wohl die Lärmschutzwälle links und rechts der Gleise eine neue Bedeutung bekommen. "Ma-Uro. Pronto! Pronto Mauro! Molto Brumm Brumm!" Das muss sehr komisch sein, denn man lacht laut und herzlich.
Bald steigen sie wieder aus und man kann etwas dösen.
Endlich dann Chiasso, hier endet der Zug. Offenbar auch ein Teil der Welt. Es gibt einen Warteraum - immerhin.
In der Stadt finde ich den Bankautomaten den der Zugbegleiter empfohlen hatte. Richtig: Schweizer Franken und Euros verspricht er. Leider hält er sein Versprechen nicht. Der Zugbegleiter kommt sogar selbst vorbei und zeigt mir, wie es geht. Oder gehen könnte. Oder gehen sollte. Keine Euros trotzdem. Nun behauptet der Automat sogar, er würde bis auf Weiteres gar kein Geld mehr geben. Das ist ärgerlich. Der nächste Automat tut es ihm gleich. Automatenstreik in Chiasso.
Guter Rat ist dieses Mal nicht so teuer. Ich gehe zu Fuß nach Italien. Dort gibt es einen Bankautomaten und nur eine Währung. Das klappt. Leider nur einen recht kleinen Betrag.
Dann wieder im Warteraum. Ein Prinz aus dem Delta des Niger und sein Adlatus leisten uns Gesellschaft. Wenig inspirierende Kommunikation. Man versucht zu schlafen. Ungemütlich ist es und arg kühl.
Fahrkartenautomaten gibt es für Ziele in der Schweiz. Wir wollen aber raus aus der Schweiz. Es gibt auch Automaten für Fahrkarten in Italien. Diese Automaten sind aber gerade außer Betrieb.
Nach vier Stunden und einigen vielen Minuten gehen die Lichter im italienischen Zug an. Ohne Fahrkarten steigen wir ein. Die kann man ja im Zug kaufen.
Kann man nicht. Es gibt drohende Hinweisschilder die ankündigen, die teuer Schwarzfahren ist. Aber es gab keine Chance auf eine Fahrkarte. Es gibt auch keinen Zugbegleiter. Eine Kontaktaufnahme zum Lokführer kommt nicht zustande.
In Monza schnell raus aus dem Zug und rein in den nächsten nach Mailand. Wenn der nur schon da wäre. Die Anzeigetafel kündigt 5 Minuten Verspätung an. Sieben Minuten haben wir zum Umsteigen in Mailand und wir wissen nicht einmal an welchem Bahnsteig wir unseren Anschluss finden. Wieder keine Fahrkarte. Keinen Zugbegleiter.
Endlich Mailand - der Hauptbahnhof. Irgend einen Offiziellen gefragt, wo der Zug nach Ventimiglia abfährt. Cinque dice. Das muss fünfzehn heißen. Wenn wir uns nicht irren. Noch einmal fragen. Mit den Fingern zeigen: fünfzehn? Ja: fünfzehn!
Im Galopp zum Gleis fünfzehn - und richtig: da sehen wir die Schlusslichter des Zuges langsam entschwinden. Immerhin auf Gleis fünfzehn.
Ein Blick auf die Bahnhofsuhr gibt dem Zug recht. Es sind schon zehn Minuten seit der offiziellen Abfahrtszeit vergangen. Ein Blick auf meine Uhr lässt mich an moderner Technik zweifeln. Wozu denn eine Funkuhr, wenn sie in Mailand schon nicht mehr die korrekte Zeit anzeigt? Senderruftaste gedrückt - es bleibt bei der Differenz. Minuten später zeigen dann die Uhren im Bahnhof wieder eine Zeit an, die sehr gut mit "meiner" übereinstimmt. Eine Lautsprecherdurchsage scheint die Panne erklären zu wollen. Dabei ist der erste April doch schon lange vorbei.
Fremdsprachen sind offenbar in Italien kein Problem. Man kennt ganz einfach keine. Das macht einige Dinge am Informationsschalter etwas kompliziert.
Immerhin finden wir heraus, dass alle Züge nach Nizza nur bis Ventimiglia fahren. Dort steigt man einfach um. Nachdem man eine neue Fahrkarte gekauft hat.
Also nehmen wir den nächsten Zug nach Ventimiglia und versuchen, die Fahrt zu genießen. Etwas trübe ist es, hier und da etwas Regen. Die Vegetation die vorbeirauscht ist weiter als in Kiel und zeigt andere Arten. Übrigens denke keiner, die Durchsagen in den Zügen seien dazu geschaffen, dass jemand sie verstehe. Für uns jedenfalls absolut wertloses Getöse.
In Ventimiglia müssen wir dann umsteigen in die SNCF. Vorher neue Fahrkarten. Natürlich. Das Wetter wird besser, wir fahren am Meer entlang. Hier wohnen die Priviligierten. Im Zug sitzen wohl einige weniger Privilegierte. Polizei steigt ein, bewaffnet. Sie steigt auch bald wieder aus - und mit ihr alle, deren Hautfarbe zu stark pigmentiert ist.
In Nizza scheint die Sonne aus wolkenfreiem Himmel und ein Blick auf die Uhr lässt uns hoffen. Man kann es doch versuchen!
Schnell in ein Taxi und ab zum Hafen. "Kein Problem" sagt der Taxifahrer. Es gibt grüne Wellen und es gibt rote Wellen. Wir erwischen die rote Welle.
Endlich sehen wir die Fähre. Unsere Fähre. Schnell den Fahrer entlohnt, Koffer unterm Arm und im Galopp zur Fähre. Immerhin kommen wir bis auf 10 Meter an sie heran. Aber die Klappen sind so gut wie zu, die Leinen so gut wie los - und kein warmes Herz erbarmt sich unser.
Das Schiff fährt einfach los. Was jetzt?
Ganz einfach, so sagt man uns. Man kann doch die Tickets umschreiben. Die Fähre ab Toulon nehmen. Die fährt erst in ein paar Stunden, das ist zu schaffen.
Also lassen wir die Fahrkarte umschreiben - kostet nur ganz wenig. Dann wieder ein Taxi zum Bahnhof und ein Ticket nach Toulon. Immerhin haben wir inzwischen gelernt, dass man in Frankreich brav in der Bahnhofshalle wartet bis der Zug so gut wie da ist. Dann zeigt man seine Fahrkarte und nette Menschen lassen einen auf den Bahnsteig.
Lautsprecheransagen in französischen Zügen sind übrigens nur für Franzosen da. Vielleicht auch noch für Französinnen. Ausländer sind nicht gemeint. Für die ist es weißes oder rosa Rauschen. (Eine wirklich vorbildlich tolle Ausnahme: der Bahnhof von Straßburg. Dreisprachig und in jeder Sprache so langsam und artikuliert, dass das Zuhören keine Anstregung ist. Das gefällt.)
So sitzen wir dann im Zug nach Toulon, genießen die tolle Aussicht - und die Hoffnung, heute doch noch eine Fähre nach Korsika zu erreichen.
In Toulon ist für unsere Begriffe Sommer. Zwei Stunden Zeit bis zur Abfahrt der Fähre. Bequem zu Fuß zu schaffen.
Leider verabschiedet sich ein Rad vom Koffer, so wird der Marsch doch schweißtreibend. Der Koffer hat echt ein Rad ab. Gut ist: wir haben in Toulon bei einem kleinen Höker eine Flasche Wein und ein Brot, etwas Wurst und Käse gekauft. Das wird die Überfahrt zu einem kulinarischen Erlebnis machen.
Diese Fähre erreichen wir dann wirklich. Und wir gönnen uns eine Kabine. Etwas erholen müssen wir uns doch. Der Schlaf in Chiasso hat uns eher älter werden lassen. Duschen tut auch mal gut.
Am nächsten Morgen dann kommen wir in Bastia an. Immerhin hat dann schon eine Autovermietung auf - am Abend vorher, bei der geplanten Ankunft, wäre das ein Problem gewesen.
So kommt man in 45 Stunden von Kiel nach Korsika. Der Weg ist das Ziel.
Nun kommt die Phase in der man mit der Bahn verhandeln muss, ob es eine Erstattung für nicht in Anspruch genommene Fahrkarten gibt. Schließlich haben wir ja Karlsruhe-Paris-Nizza gezahlt und sind dann doch anders gefahren.
Erst einmal per Mail:
"Nun habe ich versucht, in dem Online-Portal der Deutschen Bahn eine Möglichkeit zu finden, einen Antrag auf Kostenerstattung herunter zu laden. Geht aber nicht. Geht nur für online gebuchte Karten. Anrufen hätte ich auch können. 14 Cts die Minute für so eine lange Geschichte. Selbst geeignete Mail-Adressen werden nicht angegeben. Also versuche ich es jetzt hier. Sie werden jetzt sicher sagen: "Für so einen Fall sind gar keine Erstattungen möglich!" Aber da appelliere ich doch an das soziale Gewissen der Deutschen Bahn. Es muss doch einen Fonds zur Unterstützung umweltbewusster Deppen geben damit diese weiter brav mit der Bahn reisen und nicht viel schneller, viel bequemer und viel billiger mit dem Flugzeug."
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